willkommen
kontakt
impressum
suchen

Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

presseartikel25. 9. 1928 → Referat [teil 2]
ortografie.ch ersetzt sprache.org ortografie.ch ersetzt in zukunft sprache.org

Referat über die vereinfachung der deutschen rechtschreibung [teil 2]

gehalten von am 29. mai 1926 in Baden, an der interkantonalen konferenz zur besprechung der ortografiereform. (Schluss.)

Pionier: Organ der schweizerischen permanenten Schulausstellung in Bern (), , 49. jg., nr. 7–8, s. 58 bis 63

teil 1

Höchst inkonsequent sind wir auch bei der anwendung von ä und e. Hier tritt hauptsächlich das ethymologische interesse ins spiel, indem wir die stammzugehörigkeit betonen wollen. Doch fehlt es auch hier an folgerichtigkeit. Einmal wird die stammzugehörigkeit bezeichnet, ein andermal nicht. Beispiel: Hand-Hände, aber alt-Eltern, Stange-Stengel, Spange-Spengler usf.

Ferner haben wir die doppelzeichen äu und eu, ai und ei für genau dieselben laute. Auch da liesse sich mit leichtigkeit verein­fachen, indem durchgehends die eine oder andere bezeichnung ge­wählt würde. Von geringerer wichtigkeit ist ferner noch: die ersetzung des t durch z in wörtern wie: Station, Nation usw., als anpassung der schreibung an die sprache, ebenso die anpassung an den sprachlaut in wörtern wie Wachs, wechseln. Da liesse sich entweder einfach x setzen oder, wie in Deutschland vorgezogen wird, ks. Drittens könnte auch qu ersetzt werden durch kw, ebenfalls der fonetischen anpassung wegen.

Damit sind wohl so ziemlich alle wichtigeren punkte berührt, doch kann ich ihnen hier nicht alle vereinfachungsvorschläge vorlegen. Es handelt sich für uns in erster linie um den reformgedanken als solchen, um das prinzip. — Aus meinen ausführungen werden sie entnommen haben, dass es sich keineswegs um ein attentat auf die deutsche sprache handelt oder um Umsturz alles bestehenden, wie so oft befürchtet wird, sondern um eine vernünftige erleichterung, um ein abstossen historischen ballastes und um anpassung der schreib­weise an den heutigen lautstand der sprache. Etwas aber als ehrwürdig zu betrachten, nur weil es alt ist, auch wenn es direkt widersinnig geworden ist, geht über die grenzen einer angemessenen ehrfurcht vor dem bestehenden, geschichtlich gewordenen hinaus.

Dafür, dass der deutsche sprache keine gefahr droht, mögen ihnen jene namen deutschen sprachforscher bürgen, die ich oben anführte.

Wie schon erwähnt, hat die reformbewegung bereits eine lange geschichte hinter sich. Vereinzelte reformer traten schon gegen ende des 18. jahrhunderts auf, so z. b. der dichter Klopstock, der eine weitgehende vereinfachung forderte. Eigentlich in fluss aber kam die bewegung erst durch Jakob Grimm um die mitte des 19. jahrhunderts. Sie hatte zwei ziele: vereinheitlichung und vereinfachung. Die erstere wurde 1901 erreicht auf jenem kongress zu Berlin, als das wörterbuch von Duden als allgemein verbindliche norm erklärt und seine schrei­bung zur amtlich anerkannten gestempelt wurde. Das zweite ziel, die vereinfachung, hatte einen langen leidensweg vor sich; es ist im 19. jahrhundert nur zum kleinsten teil erreicht worden, und es wird nun die aufgabe des 20. sein, die vereinfachung durchzuführen.

Jakob Grimm ging hauptsächlich von sprachhistorischen gesichtspunkten aus: daneben aber entwickelte sich die fonetische richtung, welche eine möglichst weitgehende, lautgetreue anpassung der schreibweise an die heute gesprochene sprache anstrebte. Der kampf um die reform war besonders heiss in den 60er und 70er jahren des 19. jahrhunderts. Es kam dann auch 1876 zu einer ersten ortografiekonferenz, doch führte sie zu keinem nennenswerten ergebnis. In jener Zeit war es auch, als die schweizerische lehrerzeitung (1873 bis 1881) in vereinfachter schreibung gedruckt wurde: in kleinschrift, ohne dehnungszeichen und ohne ck, tz, ph und v.

Eine internationale regelung, die der schweizerische bundesrat 1885 in Berlin anregte, scheiterte an der ablehnenden haltung Bis­marcks, der auch in Preussen jede reform auf diesem gebiete unter­band. Und sein einfluss wirkte über seinen tod hinaus. Es siegte die amtliche preussische ortografie über die gelinde vereinfachte schulortografie, wie sie der minister v. Puttkammer hatte durchsetzen wollen. Die amtliche schreibweise wurde denn auch 1901 zur grundlage der einheitlichen ortografie gemacht. Immerhin gelang es Duden, einige wenige kleine änderungen durchzusetzen, wie die abschaffung einiger th und vokalverdoppelungen. Das dudensche wörterbuch aber ist von da weg, als amtlich beglaubigt, die ortografiebibel aller deutschsprechenden lande geworden.

Zwar hatte die vereinheitlichung und amtliche regelung sicher praktische vorteile, besonders für den buchdruck und auch für die schule. Andererseits wurde dadurch die weitere reform erschwert, wenn nicht unterbunden. Zunächst flaute denn auch die bewegung ab, doch bestand in Deutschland ein «ferein für fereinfachte rechtschreibung» weiter, der eine weitgehende vereinfachung anstrebt auf fonetischem prinzip. Von zeit zu zeit kamen auch da und dort reformpublikationen heraus, die anzeigten, dass die bewegung nicht einge­schlafen war. Und als dann 1918 nach dem politischen zusammenbruch des reichs eine mächtige reformbewegung auf dem ganzen weiten feld des erziehungswesens einsetzte, kam auch die ortografiereform wieder in fluss. Es wurde eine grosse Unterschriftensammlung unter der lehrerschaft unternommen, eine lebhafte diskussion setzte ein in zeitschriften und tagespresse, und schliesslich trat 1920 eine reichsschulkonferenz zusammen zur behandlung dieser frage. Wie Österreich war auch die Schweiz eingeladen worden. Sie sandte zwei vertreter nach Berlin, einen mann der wissenschaft, prof. Bachmann von Zürich, und einen vertreter des buchgewerbes. Inzwischen war aber in Deutsch­land wieder ein rückschlag eingetreten, und die reichsschulkonferenz lehnte die reform ab; nur ein kleiner ausschuss von sprachgelehrten, worunter auch der schweizerische vertreter, arbeiteten bis zum fol­genden jahr noch ein sehr zusammengeschmolzenes reformprogramm aus, von dessen schicksal man seither nichts erfahren hat. Der neu­erwachte nationale chauvinismus steht einer reform nicht günstig gegenüber, und so ist vorläufig von Deutschland kein vorangehen zu erwarten.

Dagegen hat der reformgedanke in der Schweiz in den letzten jahren sich auszubreiten begonnen. Es sind mehrere reformvorschläge zum teil ziemlich weitgehender natur veröffentlicht worden. Ich erinnere an die schrift des aargauer lehrers J. Strebel und an ver­schiedene in der zeitschrift «Schulreform» veröffentlichte vorschläge. Und im herbst 1924 fand dann endlich in Olten eine versammlung statt von freunden einer ortografiereform, die zur gründung des «Bundes zur vereinfachung der rechtschreibung» führte. Sie sind seinerzeit in der schweizerischen lehrerzeitung darüber orientiert worden.

Der bund stellte sich damals auf den standpunkt, dass vorläufig von der deutschen regierung nichts zu erwarten sei, dass also die Schweiz auf eigene faust an die lösung der reformfrage herantreten müsse. Nach langer diskussion und überlegung wurde aus praktischen gründen vorläufig abgesehen von einer umfassenden reform, da es sich zeigte, dass über wichtige punkte, wie z. b. die dehnungsfrage, die meinungen auseinander gingen. Da man ferner mit grossen prak­tischen widerständen von seiten des buchgewerbes rechnete, einigte man sich auf ein beschränktes programm, von dem man sich sagte, dass es auch in der Schweiz allein durchgeführt werden könnte, nämlich auf die kleinschreibung der substantive, die als der allerwichtigste punkt angesehen wurde. Sie lässt sich am leichtesten verwirk­lichen ; der schritt ist so klein, dass sich die anpassung leicht vollziehen kann, für die schule wie auch im gesellschaftsleben. Das auge gewöhnt sich rasch, und gross- und kleindruck können in der übergangszeit ruhig nebeneinander stehen. Die bücher in alter druckart sind somit nicht ohne weiteres entwertet. Gelingt es, die kleinschreibung in der Schweiz durchzuführen, so ist damit ein praktischer anfang ge­macht, der sicher weitere folgen zeitigen wird. Es ist dabei zu be­merken, dass das prinzip der kleinschreibung nicht starr formuliert wurde, sondern so, dass eine gewisse persönliche freiheit möglich ist. Der wortlaut der formulierung war folgender: Alle wörter sind grund­sätzlich klein zu schreiben. Jedoch sollen bei satzanfängen und eigennamen grosse buchstaben verwendet werden. Es ist auch kein verstoss, im satzzusammenhang besonders wichtige wörter gross zu schreiben.

Auf diesem boden ist denn auch im Aargau der vorstoss unter­nommen worden, der dazu führte, dass heute bereits vertreter von deutschschweizerischen lehrervereinigungen hier versammelt sind. Im Aargau haben sich die bezirkskonferenzen in weit überwiegender mehrheit für eine reform in obigem sinne ausgesprochen, doch soll nun die lösung der frage auf schweizerischem boden an die hand genommen werden, da nach der meinung der meisten ein kanton kaum allein den schritt tun kann. Auch im kanton Schaffhausen haben sich bereits 2 bezirkskonferenzen dafür ausgesprochen. Wir sind uns zwar vollkommen bewusst, dass eine solche teilreform stückwerk ist, sind zugleich aber auch überzeugt, dass schon dieser schritt allein eine gewaltige erleichterung bedeutet.

Dem bund zur vereinfachung der rechtschreibung ist aber schon oft der vorwurf gemacht worden, dass er mit diesem vorgehen viele freunde des reformgedankens abstosse, da sie wohl eine reform begrüssen würden, aber nicht für die Schweiz allein, sondern nur, wenn auch Deutschland mitmache. Sie fürchten, dass eine kulturelle trennung eintreten könnte. Selbstverständlich liegen von seiten des B. V. R. keinerlei trennungsabsichten vor, sondern er ist gewillt, alles zu tun, um eine reform hand in hand mit den übrigen staaten des deutschen sprachgebietes zu fördern. Den landläufigen einwurf aber, dass die Schweiz allein nichts ausrichten könne oder dass es gar lächer­lich sei, wenn wir hier von reform sprechen, den weisen wir energisch zurück. Der erfolg unseres vorstosses hängt sicher ab von der kraft des willens, die sich in der bewegung verkörpert. Dass eine um­fassende reform nur auf internationalem boden gelöst werden kann, ist auch uns klar; doch sind wir davon überzeugt, dass irgendwo praktisch mit der reform begonnen werden muss. Alle reformfreunde in Deutschland werden unsere initiative freudig begrüssen und unter­stützen. Die regierungen aber werden sich erst ernsthaft mit der frage befassen, wenn die anregung von unten kommt, wenn ein druck ausgeübt wird. Das ist meine demokratische überzeugung.

Der B. V. R. hat nun an seiner letzten Jahresversammlung sein aktionsprogramm in folgendem sinne erweitert: Der schweizerische hundesrat soll veranlasst werden, die verhandlungen mit Deutschland und Österreich zum zweck einer allgemeinen ortografiereform wieder aufzunehmen.

Das schliesst aber keineswegs aus, dass zugleich ein praktischer schritt unternommen werde durch die einführung der kleinschreibung auf dem gebiete der deutschen Schweiz. Es scheint mir sogar sehr wichtig, dass gleich eine bestimmte forderung gestellt wird. Dann sehen die massgebenden persönlichkeiten, dass die sache an die hand genommen werden muss. Eine anregung von seiten des bundesrates in Berlin wird sicher viel eher ernst genommen, wenn dieser darauf hinweisen kann, dass bereits bestimmte forderungen gestellt werden, die eventuell auch auf einem teilgebiet verwirklicht werden könnten.

Der B. V. R. beabsichtigt, von möglichst vielen korporationen, d. h. wirtschaftlichen und berufsverbänden, erklärungen zu sammeln, die dann dem bundesrat eingereicht werden sollen. Es kommen da in frage in erster linie die zunächst interessierten berufe: lehrerschaft, schriftstellerverband, verbände des buchgewerbes und der presse, kaufmännische organisationen usw. Zugleich soll die reformfrage auch im parlament aufgerollt werden. Dazu ist es natürlich notwendig, dass einige hervorragende Parlamentarier für unsere sache gewonnen werden. Sie sehen, wir haben also einen weitgehenden feldzugsplan entworfen. Dazu nun ist uns die meinungsäusserung der vertreter der lehrerschaft ausserordentlich wichtig. Ich werde Ihnen deshalb einige anträge zur diskussion und womöglich zur abstimmung vor­legen. Denn nur durch energisches, bestimmtes auftreten bringen wir die sache vorwärts. Auf alle fälle sollten wir, falls sich die mehrheit dieser konferenz prinzipiell für eine reform ausspricht, eine resolution fassen und die dann weiterleiten an die nächsten wichtigen instanzen. Ich denke da in erster linie an die kantonalen erziehungsdirektoren. Ferner fragt es sich, ob nicht direkt an den hundesrat gelangt werden soll.

Ein erster antrag soll die prinzipielle stellung der versammlung zur ortografiereform überhaupt zum ausdruck bringen, ein fernerer antrag soll sich beziehen auf unsere konkrete forderung hinsichtlich einführung der kleinschrift.

Verehrte kollegen, scheuen wir uns nicht, mit forderungen an die öffentlichkeit zu treten, auch wenn unser schritt da und dort noch kopfschütteln hervorrufen sollte. Wir wollen helfen, die kinder und damit das volk zu befreien vom zwange einer teilweise sinnlos gewordenen, allzu komplizierten schreibweise. Unsere kinder sollen einmal frei werden von der ortografieplackerei, die sie ja alle aus doppelter erfahrung kennen! Nicht weil sie nicht arbeiten lernen sollen — nein — aber sie sollen vernünftigeres, fruchtbringenderes lernen als die grossschreibung aller möglichen und unmöglichen substantive samt anhang, als die unterschiede von v und f, von wörtern mit und ohne dehnungs-h usf. — Unserm volk eine möglichst einfache, sinn­gemässe schreibung schaffen bedeutet nicht einreissen, wie von den gegnern einer reform oft gesagt wird — nein! Indem wir das denken aus totem formalismus befreien helfen, reissen wir nicht ein, sondern wir arbeiten mit am aufbau unseres geistigen lebens.